Wasserstoff: Zukunft der Logistik?
Mit rund 2,5 Millionen Fahrzeugen ist die Transportbranche für rund 10 Prozent der CO2-Emissionen im deutschen Straßenverkehr verantwortlich – 2020 gingen 14,6 Millionen Tonnen CO2 allein auf ihr Konto. Das muss sich ändern: Bis 2030 will die Bundesregierung den CO2-Ausstoß auf deutschen Straßen in etwa halbieren, bis 2045 ganz auf Null bringen. Bei den Pkw steht die Marschrichtung fest: Die Umstellung auf Elektromobilität soll die Lösung bringen. Auch viele Lkw-Hersteller experimentieren mit E-Antrieben, die hinsichtlich Infrastruktur, Ladezeiten und Reichweite aber bisher noch nicht ganz mit klassischen Verbrennern mithalten können. Macht bei den Transportfahrzeugen vielleicht doch der Wasserstoffantrieb das Rennen? Auch wenn diese Technologie ebenfalls noch davon entfernt ist, den Diesel abzulösen, lohnt es sich, den vielversprechenden Ansatz näher anzuschauen.
Wie wird Wasserstoff hergestellt?
Es gibt verschiedene Wege, Wasserstoff herzustellen. Zurzeit wird er vor allem per Dampfreforming aus Erdgas gewonnen, was CO2 freisetzt und dadurch nicht sehr umweltfreundlich ist. Nachhaltiger ist beispielsweise das Elektrolyseverfahren, bei dem Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Kommt der dafür benötigte Strom aus einer regenerativen Quelle, lässt sich klimaneutraler Wasserstoff erzeugen – im Idealfall direkt dort, wo Strom und Wasser zur Verfügung stehen wie in einem Offshore-Windpark.
Ist Wasserstoff umweltfreundlich?
Weil Wasserstoff je nach Herkunft und Herstellungsmethode einen unterschiedlich großen Einfluss aufs Klima nimmt, hat sich eine Farbpalette etabliert, die die verschiedenen Ursprünge einordnen hilft. Nach diesem Schema spricht man von grünem Wasserstoff, wenn er klimaneutral hergestellt wird – mittels Biomassevergasung, Biogas-Dampfreforming oder Elektrolyse mit klimaneutralem Strom. Türkiser Wasserstoff entsteht bei der Methanpyrolyse, deren Nebenprodukt nicht CO2, sondern fester Kohlenstoff ist. Wird dieser dauerhaft gebunden und die Pyrolyse mit erneuerbaren Energien betrieben, ist auch dieses Verfahren klimaneutral. Entsteht bei der Wasserstoffherstellung CO2, das aber dauerhaft gespeichert wird, statt in die Atmosphäre zu gelangen, spricht man von blauem Wasserstoff. Grauer Wasserstoff wird per Dampfreforming aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas gewonnen, wobei CO2 in die Atmosphäre gelangt – rund 10 Tonnen CO2 pro produzierter Tonne Wasserstoff. Wird bei der Wasserstoffherstellung per Elektrolyse per Kernkraft gewonnener Strom verwendet, spricht man von rosa Wasserstoff, während sich weißer Wasserstoff mit Fracking aus natürlichen Vorkommen gewinnen lässt, von denen es weltweit aber nur wenige gibt. In einem Punkt ist allerdings jeder Wasserstoff umweltfreundlich, wenn er Fahrzeuge mit Brennstoffzellen antreibt: bei der Geräuschemission. Damit lassen sich vielerorts die nächtlichen Anlieferverbote für Verbrennerfahrzeuge umgehen – ein echtes Plus beim Gütertransport.
Wie funktionieren Wasserstoffantriebe?
Grundsätzlich könnte Wasserstoff wie ein fossiler Brennstoff in einem Verbrennungsmotor zum Einsatz kommen. Als effizienter hat sich aber der Einsatz von Brennstoffzellen erwiesen, die das Prinzip der Elektrolyse einfach umkehren und den Wasserstoff so mit dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft reagieren lassen, dass elektrischer Strom entsteht. Dieser kann in Bordbatterien zwischengespeichert und zum Antrieb von Elektromotoren genutzt werden. Klimaschädliche Abgase entstehen bei diesem Prozess nicht – aus dem Auspuff von Brennstoffzellen-Fahrzeugen kommt reiner Wasserdampf.
Wie ergiebig ist Wasserstoff?
Wasserstoff besitzt eine hohe gravimetrische Speicherdichte – ein Kilogramm besitzt mit 33 Kilowattstunden in etwa so viel Energie wie drei Liter Diesel. Das spart Gewicht und ermöglicht hohe Reichweiten – Fahrzeuge von MAN und Mercedes können mit einer Tankladung Distanzen von 800 bis 1.000 Kilometer überbrücken. Außerdem dauert der Tankvorgang kaum länger als bei herkömmlichen Verbrennern – zwei klare Vorteile gegenüber den „Stromern“, die im Vergleich länger laden und kürzer fahren.
Wie viele Tankstellen gibt es überhaupt?
Die hohe Reichweite der aktuellen Wasserstoff-Trucks ist allerdings zurzeit auch überlebensnotwendig, denn der Aufbau des Wasserstoff-Tankstellennetzes steht noch am Anfang. In Deutschland stehen Ende 2022 beispielsweise 101 Wasserstoff-Tankstellen rund 14.460 Diesel-Stationen gegenüber. Frankreich kommt auf 41 Wasserstoff-Tankstellen, Großbritannien auf 19 – EU-weit sind es insgesamt 228. In China waren es im Jahr 2021 immerhin 363 Stück, in den USA 86. Hier gibt es also noch Nachholbedarf, wenn auch nicht in dramatischem Ausmaß: Eine Analyse des Fraunhofer-Instituts für Systeme und Innovationsforschung ISI im Auftrag der Association des Constructeurs Européens d’Automobiles ACEA kam zu dem Schluss, dass dem Fernverkehr innerhalb der EU bereits ein Netz aus 140 Wasserstofftankstellen reichen kann, um den kompletten Bedarf zu decken.
Was kostet der Wasserstoffbetrieb?
1 kg Wasserstoff ist mit rund 12,85 Euro deutlich teurer als 1 Liter Diesel, der Ende 2022 rund 2 Euro kostet. Weil er aber die Energiedichte von drei Litern Diesel hat, relativiert sich der Preis ein wenig: Während ein Diesel-Lkw auf 100 km rund 30 Liter verbraucht, begnügt sich das Wasserstoff-Fahrzeug mit 7 kg. Damit stehen beim Diesel-Truck 60 Euro Treibstoffkosten für 100 km rund 90 Euro beim Wasserstoffwagen gegenüber.
Bei den Anschaffungskosten liegen Brennstoffzellen-Lkw zurzeit noch zwischen 200.000 und 600.000 Dollar. Das wird in zehn Jahren anders aussehen. Denn 85 bis 95 Prozent der gesamten Anschaffungskosten entfallen auf die Antriebssysteme, deren Kosten nach Einschätzung der unabhängigen Organisation ICCT bis dahin auf 75 bis 85 Prozent des heutigen Niveaus fallen werden. Als Grund für diese Entwicklung nennt die ICCT den durch stete Marktentwicklung bedingten Preisverfall bei Batterie- und Brennstoffzellensystemen.
Welche Lösungen gibt es bereits?
Der Systemanbieter GP Joule stellt nicht nur selbst grünen Wasserstoff her und betreibt entsprechende Tankstellen, sondern bietet gemeinsam mit Clean Logistics die Zugmaschine „Fyuriant“ an, die 120 oder 240 kW leisten und im 350-bar-Tank über 40 kg Wasserstoff speichern kann – genug für 500 km.
Auch der Sonderfahrzeughersteller Paul betreibt ein eigenes, sehr leistungsfähiges H2-Tankstellennetz. Ohne Trailer erreicht auch seine Zugmaschine „PH2P Paul Hydrogen Power“ 500 km Reichweite, mit Trailer ungefähr 350 km, die durch Bremsenergie-Rekuperation mit E-Kompressor gesteigert werden können. Die sieben Tonnen schwere Zugmaschine verfügt über eine 80-kW-Brennstoffzelle, zwei 60-kWh-Batterien, einen Voith-Zentralantrieb mit maximal 300 kW Leistung und sechs 350-bar-Wasserstofftanks mit einem erweiterbaren Gesamtvolumen von 206 Litern.
Mercedes punktet mit Reichweite: Seine gemeinsam mit Volvo entwickelte Zugmaschine „GenH2 Truck Prototyp 2“ soll bis zu 1.000 km schaffen. Mit einer Testflotte evaluiert der Traditionshersteller zurzeit Leistung und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge auf der Straße; ungefähr ab 2027 soll die Serienfertigung beginnen.
Mit seinem schweren Brennstoffzellen-Lkw „Xcient Fuel Cell“ ist Hyundai schon weiter: Zehn Fahrzeuge sind seit 2022 bereits in der Schweiz unterwegs, bis 2025 sollen 1.600 Einheiten durch Europa rollen. Der Xcient Fuel Cell verfügt über ein 190-kW-Antriebssystem mit zwei 95-kW-Brennstoffzellen-Einheiten und sieben Tanks mit einer Speicherkapazität von insgesamt 32,09 kg Wasserstoff, die schweren 4×2-Fahrzeugen mit Kühlaufbau im Anhängerzug-Einsatz eine Reichweite von 400 km ermöglichen sollen.
Hyzon bietet den „HyMax 450“ gleich in mehreren Gewichtsklassen an. Je nach Bedarf lassen sich Modelle vom 24-Tonner mit 160-kW-Motor und 400 km Reichweite bis zum 70-Tonner mit 450 kW und 600 km Reichweite vorbestellen.
Gemeinsam mit IVECO präsentiert Nicola seinen „Tre FCEV“, der mit kontinuierlichen 400 kW Leistung und rund 800 km Reichweite auch längere Strecken bespielen kann. 2023 soll der Tre in den Markt starten.
Der Aufbauspezialist für Kommunalfahrzeuge Faun bietet modulare Lösungen für individuelle Aufgaben an. Unter dem Markennamen „Bluepower“ sind seit 2019 erste H2-Müllfahrzeuge im Testbetrieb unterwegs – so erfolgreich, dass Faun bis 2030 nur noch wasserstoffbetriebene Fahrzeuge verkaufen will.
Und jetzt?
Während Antriebe auf Wasserstoffbasis in der Pkw-Welt kaum noch Chancen haben, bieten sie im Nutzfahrzeugbereich eine echte Alternative zu reinen Elektro-Lösungen. Kein Wunder: Sie ermöglichen hohe Reichweiten, schnelle Tankprozesse, niedrige Lärmemissionen und CO2-freien Betrieb bei immer attraktiver werdenden Anschaffungs- und Betriebskosten. Wer heute auf „grüne Logistik“ umstellen will, sollte aber genau hinschauen, denn je nach Aufgabenstellung vom Nah- über den Linien- bis zum Fernverkehr passt mal der reine Stromer und mal das H2-Fahrzeug besser. Noch weiß niemand, welche Technologie sich durchsetzen wird oder ob beide friedlich koexistieren werden. Klar ist dagegen: Jeder von uns muss umdenken – und handeln. Damit das auf einer soliden Grundlage geschieht, kann es nicht schaden, sich detailliert über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Wir halten Sie wie gewohnt auf dem Laufenden.
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